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9 Jahre nach Rana-Plaza

25. April 2022

Neun Jahre ist es inzwischen her. Es passierte am Mittwochmorgen des 24. April 2013. In der Textilfabrik Rana-Plaza in der Stadt Sabhar nahe Bangladeschs Hauptstadt Dhaka sind gerade über 5000 Menschen bei der Arbeit. Sie fertigen Kleidung im Auftrag von über 30 namhaften Textilhandelsunternehmen. Gegen 8:45 Uhr stürzten die Wände des achtstöckigen Gebäudes ein und begruben die Arbeiterinnen und Arbeiter unter sich. Über 1100 konnten nur noch tot aus den Trümmern geborgen werden, mehr als 2500 überlebten mit zum Teil schwersten Verletzungen.

Ewiges Warten auf Gerechtigkeit

Wie es dazu kommen konnte? Schon am Tag zuvor sollen an dem Gebäude großflächige Risse zu sehen gewesen sein – überall bröckelnder Beton, der gesamte Komplex ein einziger Baumangel von minderwertiger Substanz. Als Rana Plaza im Jahre 2006 ohne Genehmigung gebaut wurde, hatte es lediglich vier Etagen. Schon zwei Jahre später gab der Besitzer und Namensgeber Sohel Rana den Bau weiterer fünf Etagen in Auftrag. Das neunte Stockwerk wurde nie fertiggestellt.

Und was passierte danach? 2016 folgte der Auftakt eines Prozesses, in dem 41 Personen des Mordes angeklagt wurden. Die Vorwürfe: Sie sollen bewusst mangelhafte Baustandards abgezeichnet sowie die Beschäftigten entgegen aller Warnungen und Räumungsaufforderungen dazu gezwungen haben, in dem Gebäude zu arbeiten – wohl wissend dass es strukturell nicht intakt ist.

Bis zum heutigen Tage wurde jedoch noch keiner der Beschuldigten für den größten Industrieunfall in der Geschichte des Landes zur Verantwortung gezogen. Wegen rechtlicher Komplikationen, so heißt es von Seiten der Staatsanwaltschaft, musste der Prozess fünf Jahre lang unterbrochen werden. In der Zwischenzeit sind drei der Angeklagten bereits verstorben.

Immerhin: Am 16. März dieses Jahres wurde der Prozess wieder aufgenommen. Es gibt also noch Hoffnung, dass das Warten der Überlebenden und der Angehörigen der Opfer auf Gerechtigkeit nach all der Zeit doch endlich ein Ende hat.

Wenn es in diesem Fall überhaupt so etwas wie Gerechtigkeit gibt: Viele Hinterbliebenen verloren nicht nur eine Mutter, einen Vater oder ein Kind bei dem Gebäudeeinsturz, sondern einen Hauptverdienenden in der Familie. Zahlreiche Überlebende sind aufgrund der gesundheitlichen Folgen nicht mehr oder nur zum Teil dazu in der Lage, einer Tätigkeit nachzugehen, um sich und ihre Familie zu ernähren.

Und dann wäre da noch die andere Seite …

Keine Fabrik ohne Firmen, die Aufträge an sie vergeben und kein Produkt ohne Konsumentinnen und Konsumenten. Es wäre naiv zu glauben, die Katastrophe von Rana Plaza wäre einzig und allein die Folge eklatanter Baumängel sowie von Gleichgültigkeit und Ignoranz des Besitzers und der Manager der Fabrik geleitet.

Letztlich lag nicht nur die Textilfabrik in Trümmern, sondern auch das Image der Textilindustrie. Plötzlich standen Dinge wie mangelnde Sicherheitsvorkehrungen, physische und psychische Gewalt gegen Beschäftigte, prekäre Löhne oder allgemein menschenunwürdige Arbeitsbedingungen im Schlaglicht der Öffentlichkeit.

Hat es seitdem ein völliges Umdenken sowohl auf Hersteller- als auch auf der anderen Seite der Ladentheke gegeben? Gewiss nicht. Ist hier in Europa in diesem Kontext das Gras grüner als in anderen Regionen der Welt? Nein. Haben jedoch die vielen Toten des Rana-Plaza-Unglücks viele Menschen, Unternehmen und auch die Politik dazu gebracht, sich intensiver oder überhaupt mit dem Thema Fairness und Nachhaltigkeit zu beschäftigen und Konsequenzen zu ziehen? Auf jeden Fall.

Es ist ja nicht so, dass sich seitdem überhaupt nichts getan hätte: Ein Entschädigungsfonds für Überlebende und Hinterbliebene wurde unmittelbar nach dem Unglück eingerichtet und über 70 Konzerne unterzeichneten ein Abkommen für mehr Arbeitssicherheit, wiederum andere Unternehmen setzten fortan strengere Standards in Sachen Produktion, Sicherheit und Fairness bei der Auswahl ihrer Produzenten und Zulieferer. Und auch die Bundesregierung hat 2021 ein Lieferkettengesetz auf den Weg gebracht, um deutsche Unternehmen Sorgfaltspflichten aufzuerlegen, in denen die Einhaltung grundlegender Menschen­rechts-Standards, wie des Verbots von Kinderarbeit oder Zwangsarbeit in ihren Lieferkette gewährleistet werden kann.

Was hat sich noch getan? Worauf kommt es an, wenn die Fashion-Industrie fairer werden soll und wie geht Weitblick mit dem ganzen Thema um? Mit diesen und weiteren Fragen habe ich mich an eine Person gewandt, die bei Weitblick ganz nah dran ist: Nachhaltigkeitsmanagerin Eva Englert.

Liebe Eva, was hat sich aus deiner Sicht seit 2013 in der Textilwelt verändert?

Nach dem Einsturz von Rana Plaza hat sich einiges in Bewegung gesetzt. Durch die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit kamen einige Menschen in Deutschland erstmals an die Information, dass die Fashion-Industrie nach innen nicht so glänzt, wie nach außen. Die Gründung des „Bündnis für nachhaltige Textilien“ war ein wichtiger Schritt seitens der Politik, um eine Veränderung anzustoßen.

Die Unternehmen gehen unterschiedlich damit um – man kann nicht pauschalisieren und sagen, dass alle Fashion-Unternehmen, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahne schreiben, ausschließlich Greenwashing betreiben. Einige nehmen das Thema ernster als andere, manche gehen auch einfach aktiver mit dem Thema um, sodass ihnen mehr Glaubwürdigkeit zugeschrieben wird. Sicherlich wird aber von einigen Marken das Thema Nachhaltigkeit stärker kommuniziert als gelebt.

Eine Konsequenz aus dem Unglück ist hierzulande unter anderem das Lieferkettengesetz. Kann so ein Gesetz etwas im großen Stile bewegen?

Das Lieferkettengesetz ist ein wichtiger Schritt in Richtung Nachhaltigkeit für eine Vielzahl an Unternehmen. Hierdurch wird eine einheitliche Richtlinie geschaffen. Was man jetzt noch in Frage stellen kann, ob der bürokratische Aufwand hinter dem Gesetz wirklich etwas verändert und im Verhältnis zum Ergebnis steht. Das wird sich in den nächsten Monaten und Jahren zeigen. Was ich an der Regelung aber gut finde, dass jetzt auch Unternehmen aufgefordert werden, die sich vielleicht in der Vergangenheit noch nicht mit dem Thema auseinandergesetzt haben.

Wer sich mit dem Thema Nähereibetrieben in Asien nicht allzu sehr beschäftigt, stellt sich vielleicht „nur“ eine normale Textilfabrik vor. Wie sieht aber die Realität aus? Welche Standards, die hierzulande Gang und Gäbe sind, fehlen dort völlig?

Man kann nicht pauschal sagen, dass alle Nähereibetriebe in Asien ungenügende Standards führen. Es gibt mit Sicherheit Betriebe, in denen die Arbeitsbedingungen nicht ausreichend sind und in denen es zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Ganz simple, aber oft fehlende Standards, die für uns selbstverständlich sind, wären zum Beispiel, dass faire Löhne gezahlt werden, Toiletten zu jeder Zeit nach eigenem Bedarf genutzt werden können oder auch angemessene Arbeits- und Pausenzeiten – und vieles mehr.

Heißt „Made in Europe“ automatisch, dass hier alles fair abläuft?

In Europa gibt es definitiv weniger Hochrisiko-Lieferanten als im asiatischen Raum. Dass deshalb hier alles „heile Welt“ ist, stimmt aber leider nicht. Es gibt da etwa ein traurig-berühmtes Beispiel aus Italien. Hier wurde entdeckt, dass in einer Textilfabrik chinesische Mitarbeitende unter sehr schlechten Bedingungen arbeiten.

Was die Geschäftsbeziehung zu europäischen Lieferanten jedoch einfacher macht, ist die Nähe innerhalb Europas, sodass man schneller mal vor Ort ist und sich austauschen kann. So kann man direkt erkennen, wie die Lage vor Ort ist.

Wichtig ist, dass man die Produktionsbetriebe kennt und enge Kontakte pflegt. So können wir eine vertrauensvolle und partnerschaftliche Geschäftsbeziehung aufbauen.

„Unsere Werte und Standards sind über unsere Website transparent kommuniziert. Sollte aber mal eine Information fehlen, kann man immer bei uns nachfragen.“

Weitblick produziert ja ausschließlich in Europa. War das schon immer so? Weshalb hat man sich für den Standort Europa entschieden?

Bis Ende der 1990er haben wir ausschließlich in Deutschland produziert, entschieden uns aber dann mit Hinblick auf die Zukunft auf eine Ausweitung unserer Kapazitäten. Ein wichtiges Kriterium dabei war die Nähe im Hinblick auf Nachhaltigkeit, wenn man Transportwege und Besuche vor Ort bedenkt.

Doch auch die Förderung von europäischen Standorten spielte für uns eine wichtige Rolle, da schon zu diesem Zeitpunkt eine starke Abwanderung der Produktionen in den asiatischen Raum sichtbar wurde. Natürlich muss auch das Preis-Leistungsverhältnis im Gesamtkontext funktionieren.

Wir sind auf jeden Fall sehr glücklich über unsere Partnerschaften in den Betrieben in Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien und Tschechien. Das sind Verbindungen, die teilweise schon seit über 20 Jahren erfolgreich bestehen.

In Sachen Transparenz: Welche Dinge, die die Produktionsbedingungen der Workwear von Weitblick betreffen, können Kundinnen und Kunden nachvollziehen und überprüfen?

Die größten Produktionsbetriebe sind zertifiziert nach STeP by OEKO-TEX – ein sehr strenger Standard, der neben sozialen Kriterien auch Umweltkriterien prüft. Die weiteren Betriebe befinden sich gerade im Prozess der Zertifizierung.

Wir sind außerdem Lizenznehmer des Grünen Knopfes. Im Rahmen der Zertifizierung müssen wir tiefgründige Kriterien erfüllen und nachweisen, wodurch unsere Kundinnen und Kunden überprüfen können, dass unsere Produktionsbedingungen hohen Standards entsprechen und stetig weiterentwickelt werden. Zertifizierungen spiegeln natürlich auch die Einhaltung wider.

Unsere Werte und Standards sind über unsere Website transparent kommuniziert. Sollte aber mal eine Information fehlen, kann man immer bei uns nachfragen. Den Kontakt zu dem Thema findet ihr auf der Weitblick-Website unter Nachhaltigkeit.

Wie stellt Weitblick sicher, dass in den europäischen Produktionsbetrieben auch tatsächlich alles fair abläuft?

Das tun wir unter anderem durch regelmäßige Besuche vor Ort, wodurch sich im Laufe der Jahre partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen entwickelt haben. Wir unterstützen die Betriebe außerdem in der technischen Ausrüstung.

Daneben stellen wir die Fairness, auch wie erwähnt durch unsere Grüner-Knopf-Lizenz und regelmäßige Audits sicher – auch durch Weitblick. Wenn dann etwas nicht nach dem gesetzten Standard laufen sollte, haben wir Mechanismen, die dazu führen, dass wir aktiv etwas verändern können.

Das reicht von Beschwerdemechanismen über Zertifizierungen der Betriebe und Auditberichte bis hin zu persönlichen Gesprächen mit den Menschen vor Ort. So können wir erkennen, ob es den Bedarf nach Verbesserungen gibt und wie wir dabei helfen können, eine Veränderung zu unterstützen.

Wie beständig ist die Zusammenarbeit mit den Produktionsstätten im Allgemeinen?

Wir können voller Stolz sagen, dass die Zusammenarbeit mit einigen Betrieben bereits seit mehreren Jahrzehnten besteht. Darüber freuen wir uns natürlich sehr, weil es uns in unserem täglichen Handeln bestätigt und Treue zeigt. Uns liegt die Lieferantenentwicklung am Herzen und nicht die schnelle Beendigung von Verträgen.

Wie schaut es mit den Partnerbetrieben beziehungsweise Bezugsquellen von Stoffen und Zutaten aus? Wie kann Weitblick sicherstellen, dass nicht nur die Produktion der Workwear, sondern auch die der Grundmaterialien fair und menschlich abläuft?

Durch „Supporting Fairtrade Cotton“ unterstützen wir die Fairtrade Initiative und ermöglichen es Bäuerinnen und Bauern, größere Mengen ihrer Baumwolle zu Fairtrade-Bedingungen zu verkaufen. Die meisten Materialien beziehen wir außerdem aus europäischen Quellen, wovon ein Großteil STeP-zertifiziert ist.

Wir führen außerdem für alle Lieferanten Risikoanalysen durch und priorisieren die Risiken. Durch unsere partnerschaftlichen Geschäftsbeziehungen und regelmäßigen Besuche vor Ort können wir uns auch persönlich überzeugen.

Wie würdest du folgenden Satz vervollständigen? Die Textilbranche wäre fairer …

… wenn nicht nachhaltig produzierte Fast Fashion der Vergangenheit angehören würde und Ressourcen mit mehr Bedacht eingesetzt werden.