Was ist eigentlich Fairtrade?
Okay, okay – und was ist Fairtrade nun?
Und welche Standards gibt es?
Fairtrade ist auch Hilfe zur Selbsthilfe
Wenn du durch die Gänge im Supermarkt gehst und in die Regale schaust, dann stehen die Chancen ganz gut, dass du viele Produkte mit Fairtrade-Siegel siehst. Und dieses Siegel ist inzwischen nicht nur bei Produkten wie Kaffee, Tee, Wein oder Kakao zu finden, sondern auch bei Textilartikeln. Zum Beispiel bei Arbeitskleidung von Weitblick! Aber was hast du persönlich davon? Kauft man sich damit nur ein gutes Gewissen? Und was ist dieses Fairtrade überhaupt? Lies unbedingt weiter!
„Sei fair!“ flüstert unser Hirn
„Hey … das ist unfair!“
Vieles kann uns dazu bringen, diesen Satz zu sagen: Der geizige Multimillionär, der schon zum dritten Mal Lotto-Jackpot knackt. Der schmierige Abteilungsleiter, der allein das ganze Lob für die Arbeit des Teams und nebenbei noch die Weihnachtsprämie einheimst. Drei stiernackige Achtklässler, die nach der Schule immer wieder dem schmächtigen Nerd aus der fünften Klasse auflauern. Das Ekel, welches der alten Dame in der überfüllten Bahn den Sitzplatz direkt vor der Nase wegschnappt.
Wir müssen nicht lange darüber nachdenken, um solche Dinge als unfair einzustufen. Warum? Interessanterweise ist uns Menschen der Sinn für Gerechtigkeit angeboren und evolutionär in uns verankert, wie US-Forscher herausgefunden haben. Unser Hirn flüstert uns Fairness also schon von Natur aus ein! Im Klartext heißt das: Fairness ist nicht bloß der Best Case, mit dem es sich ganz gut nebenher lebt, nein. Fairer Umgang untereinander hat sich in der Menschheitsgeschichte absolut bewährt! Klingt komisch? Ist aber so!
Ich behaupte einfach mal, es gäbe uns schon lange nicht mehr, wenn es vor ein paar Millionen Jahren in unserer Natur gelegen hätte, dass nur einige wenige das ganze frisch erlegte Wollnashorn verdrücken dürfen, während der Rest der Höhlenmenschen-Community zusehen muss, was sie sich zum Abendbrot macht. Niemand möchte so ein Urzeit-Egoist sein, oder? Wie gesagt, es ist nicht nur das, was wir persönlich tun, sondern auch die Umstände, die wir als fair oder unfair empfinden und bewerten. Vereinfacht sagt uns unser Gehirn ganz instinktiv: „Weder muss Person A besonders bevorteilt, noch Person B besonders benachteiligt werden – es müssen einfach faire Bedingungen herrschen“. Wir streben von Natur aus nach ausgeglichenen Verhältnissen, Balance und Fairness.
Aber seien wir mal ehrlich: In der freien Wirtschaft (und nicht nur da) geht es sehr oft sehr unfair zu. Deshalb gibt hierzulande zum Beispiel bereits seit langer Zeit verschiedene gesetzliche Regelungen, die die Arbeitswelt fairer machen: Kündigungsschutz, Arbeitnehmerrechte Anspruch auf bezahlten Urlaub, Sozialversicherung, Arbeitssicherheit, maximale Arbeitszeit, Mindestlohn … Klar, Luft nach oben gibt es immer! Doch es existiert zumindest ein Minimum, mit dem für mehr Fairness in vielen wichtigen Bereichen gesorgt wird. Ein Minimum, über das wir hierzulande manchmal auch auf sehr sehr hohem Niveau meckern und für das Milliarden von Menschen jederzeit mit uns tauschen würden, ohne weiter nachzufragen.
Dank solcher Regelungen sind unmenschliche Arbeitsbedingungen in regulären Jobs in unseren Breiten glücklicherweise längst Vergangenheit. Doch es ist kein Geheimnis, dass vielerorts genau das Gegenteil davon der Fall ist. Dass es Menschen gibt, für die eine ganze Menge nicht festgelegt ist. Zum Beispiel wie viel ihrer Hände Arbeit mindestens Wert sein muss. Ob ihnen nach harter Arbeit ein, zwei Tage zur Erholung zustehen. Dass entsprechende Schutzvorkehrungen getroffen werden müssen, weil ihre Gesundheit etwas zählt. Kurzum: Dass sie nicht ausgebeutet werden.
„Was? Zwei Euro? Wie soll das gehen?“
Als ich noch als Koch in der gehobeneren Gastronomie gearbeitet habe, habe ich vor allem eines gelernt: Was nix kost’, is’ auch nix. Auf fast allen Ebenen, die man sich vorstellen kann. Mit qualitativ minderwertigen Zutaten, schlecht bezahltem Personal und einer miesen Arbeitsatmosphäre gewinnst du definitiv keinen Blumentopf. Wer hier spart, spart definitiv an der falschen Ecke. Wie sähe so ein „Sparprogramm“ erst in größerem Maßstab aus – vor allem, wenn dieses auch noch mit System betrieben wird?
Nun kennen wir ja alle die lächerlichen Preise, zu denen T-Shirts, Hosen, Jacken, Schuhe und vieles mehr bei Textildiscountern aber auch bei größeren Modeketten verschleudert werden. Hier sind die Auswirkungen von „Einsparungen“ viel drastischer, als sie in der Gastronomie je sein könnten. Dabei sollten wir uns erst einmal weniger Gedanken um die ungleich geringere Qualität der Kleidung machen, als vielmehr um die Frage: Wie kann es sein, dass – bei einem Preis von etwas über zwei Euro für ein Shirt – die Discounter und auch die Hersteller überhaupt Gewinn machen können? Schließlich wurde das Kleidungsstück um den halben Planeten gekarrt und dann sind noch Arbeitskraft, Energiekosten, Material & Co für die Herstellung im Verkaufspreis drin? „Was? Zwei Euro? Wie soll das gehen?“ fragt man sich.
Ethisch gesehen geht so etwas schon mal gar nicht. Und praktisch geht so etwas selbstverständlich nur dann, wenn an vielen Stellen massiv gekürzt oder weggelassen wird: Neben Materialqualität und Umweltschutz sind das eben auch Löhne, Arbeitssicherheit, Arbeitnehmerrechte und Arbeitsbedingungen. Und hey, wir reden hier „nur“ vom Textilbereich. Brechen wir all das einmal auf die simpelste Ebene herunter: Je weniger Geld man für Materialien ausgibt und den finanziellen Aufwand dafür minimiert, den Arbeitskräften die Arbeit so human wie möglich zu machen, desto mehr Profit fällt am Ende pro Kleidungsstück ab. Zwei Euro für ein Shirt? Das ist kein Verkaufspreis mehr – objektiv betrachtet ist das obszön.
Wer profitiert davon? Mit Sicherheit nicht die Menschen, an denen dermaßen heftig gespart wird. Ist das auch nur ansatzweise fair? Was für eine bescheuerte Frage. Natürlich nicht! Fair wird ein Produkt erst dann, wenn für alle, die an dessen Produktion beteiligt sind, humane Bedingungen herrschen. Und zwar die gesamte Wertschöpfungs- und Lieferkette entlang. Du erinnerst dich: Fairness und faires Handeln ist durch und durch menschlich in uns verankert. Warum also nicht einfach damit anfangen? Zumal es mit Fairtrade schon längst Strukturen gibt, die das möglich machen.
Okay, okay – und was ist Fairtrade nun?
Puh, zugegeben, das war ein längerer Einstieg in das Fairtrade-Thema. Aber man würde es sich zu einfach machen, es einfach nur als „tolles Siegel“ und Allheilmittel anzupreisen, ohne ein wenig die Hintergründe und den Gedanken dahinter anzusprechen.
Wenn du nun ein Fairtrade-Siegel siehst, dann handelt es sich um ein Produkt, das vollständig oder zum Teil aus einem „fairen Handel“ stammt. Die Herstellung des Produkts ist nach vielen sozialen, ökonomischen und ökologischen Kriterien klar definiert – so erklärt es Fairtrade Deutschland auf seiner Website. Fairtrade selbst ist eine unabhängige Organisation, die sich auf der ganzen Welt dafür einsetzt, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Kleinbauern und Arbeitnehmern in Entwicklungs- und Schwellenländern zu verbessern. Schließlich sind diese am stärksten von Ungerechtigkeit im Handel betroffen: Ihre Arbeit ist gleichzeitig ihre einzige Existenzgrundlage, während sie zugleich ganz am Anfang der Lieferkette stehen.
Auf der anderen Seite stehen Abnehmer, von deren Geld sie abhängig sind – und viele davon nutzen diese Zwangslage häufig gnadenlos aus. Die Strategie von Fairtrade zielt darauf ab, Standards für einen fairen Handel zu schaffen – begonnen bei einem nicht verhandelbaren Minimum, das humane Bedingungen für die Menschen und Familien in den Anbauländern bieten soll. Die Standards sind international definiert und für alle verbindlich: von Kleinbauer-Organisationen über Plantagen bis hin zu Handelsunternehmen entlang der Wertschöpfungskette.
Und welche Standards gibt es?
Zum einen gibt es soziale Standards, die den Arbeitnehmern zugute kommen. Durch sie werden demokratische Gemeinschaften in Kooperativen gestärkt und in Plantagen gewerkschaftliche Organisation ermöglicht. Dies verbessert die Produktivität und Infrastruktur – zwei Grundvoraussetzungen für Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt. Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Plantagen können die Arbeitergremien – das Fairtrade-Prämienkomitee – demokratisch wählen und entscheiden auf diese Weise selbst, in welche Projekte die Fairtrade-Prämie investiert werden sollen.
Die Regeln des fairen Handels verbieten außerdem alle Formen von Missbrauch, Belästigung und Diskriminierung. Auch wird das kulturelle Erbe der Landwirte respektiert. Anstatt dass die Produzenten dazu gezwungen sind, die allerneuesten, effizientesten Methoden für den Anbau oder die Herstellung von Waren anzuwenden, wird ihnen weiterhin die Möglichkeit gegeben, ihren traditionellen Praktiken zu folgen, während sie gleichzeitig an neue Techniken herangeführt werden. Auf diese Weise können die Landwirte ihre Traditionen am Leben erhalten und dennoch ihre Produktion erhöhen, um mit den Anforderungen des Marktes Schritt zu halten.
Darüber hinaus gibt es ökologische Standards – schließlich kann nur dann von Nachhaltigkeit die Rede sein, wenn Umwelt und Ressourcen bei Anbau und Produktion geschont werden. Demnach ist der Einsatz von gefährlichen Pestiziden oder gentechnisch verändertem Saatgut bei Fairtrade verboten. Stattdessen wird der biologische Anbau zusätzlich gefördert, sodass inzwischen fast 80 Prozent der Produkte ein Bio-Zertifikat tragen. Die Landwirte verpflichten sich außerdem, Energie effizient zu nutzen und Abfälle ordnungsgemäß zu entsorgen, zu reduzieren, wiederzuverwenden und zu recyceln, wann immer dies möglich ist.
Natürlich gelten auch ökonomische Standards. Wir erinnern uns: Es muss eine Schwelle dafür geben, wie viel ein Rohstoff – zum Beispiel Baumwolle – und die Arbeit dahinter kosten muss. Fairtrade garantiert den Landwirten einen angemessenen Mindestpreis für ihre Ernte – unabhängig davon, wie stark der Marktpreis fällt. Die Käufer verpflichten sich, die Produzenten unverzüglich für ihre Waren zu bezahlen, und die Produzenten verpflichten sich wiederum, all ihre Arbeitnehmer angemessen zu entlohnen. Zusätzlich zu den regulären Preisen für ihre Waren erhalten die Landwirte eine Fairtrade-Prämie, um in ihre Betriebe oder die Infrastruktur ihrer Gemeinden zu investieren – in Schulen, Stipendien, Ernährung, Gesundheitsversorgung, den Bau von Brunnen und vieles mehr. Außerdem erhalten die Produzenten durch Vorfinanzierungen mehr finanzielle Sicherheit.
Eine ausführliche Übersicht über die Fairtrade-Standards, die den Rahmen hier völlig sprengen würde, erhaltet ihr in dieser PDF.
Fairtrade ist auch Hilfe zur Selbsthilfe
Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was mit Fairtrade erreicht werden kann. Ein echter Wandel, also die Reduzierung der Armut von Landwirten und Arbeitnehmern in Entwicklungs- und Schwellenländern, erfordert natürlich mehr Einsatz, als nur kurzfristig höhere Zahlungen an sie zu leisten und an einzelnen Stellschrauben im Bereich der Arbeitsbedingungen zu drehen. Das Schöne am Fairtrade-Label ist, dass durch Trainings und Schulungen vor allem in die Fähigkeiten und in die Infrastruktur der Landwirte und Arbeitnehmer investiert wird – es ist also ebenso Hilfe zur Selbsthilfe! Außerdem gibt es Dinge, die mit keinem Geld der Welt erkauft werden können. Zum Beispiel Würde und Selbstvertrauen. Wer sich selbst helfen kann, holt sich beides zurück.
Richtig, Fairtrade-Produkte kosten mehr im Handel. Doch je mehr Menschen sich für Fairtrade-Produkte entscheiden, desto größer der Beitrag zur Einkommenssituation von Kleinbauern und Beschäftigten auf Plantagen, zu den Arbeitsbedingungen und zum verbesserten Gesundheitsschutz und nicht zuletzt zum Schutz der natürlichen Ressourcen. Außerdem ist es auch besser für die Gesundheit – denk an den minimierten Einsatz von gefährlichen Substanzen!
Natürlich ist Fairtrade nicht das Allheilmittel gegen alle komplexen Probleme und gegen die Ungerechtigkeit auf dieser Welt. Doch Fairtrade ist ein Mittel, das den Wandel zu dem hin möglich macht, was wir allgemein als fair betrachten – was zum Beispiel auch mit dem sogenannten Mengenausgleich beginnt. Fairness musst du dir außerdem nicht erkaufen – wir tragen den Sinn für Fairness schließlich seit jeher in uns. Fairness und der natürliche Wunsch, für Gerechtigkeit zu sorgen, macht uns letztendlich auch zu dem, was wir sind: Menschen.
Nähere Informationen zu Fairtrade: www.fairtrade-deutschland.de
Wie schaut’s bei dir aus? Achtest du beim Kauf von Textilien auf die Herkunft? Oder gibt es Produkte, bei denen für dich ausschließlich Fairtrade in Frage kommt? Schreib’s gern in die Kommentare!