Tradition vs. Moderne in der Gastronomie
Versetz dich einmal kurz in die Gästeperspektive: Magst du es in der Gastronomie lieber traditionell, modern oder irgendwie etwas dazwischen? Tja, da wüsste ich spontan auch keine konkrete Antwort. Kommt drauf an – was ist schon traditionell?
Vielleicht ist es der Imbisswagen. Vielleicht auch das klassische Luxusrestaurant, in dem Service und Küche nur so mit französischen Gastro-Fachbegriffen um sich werfen. Vielleicht ist es aber auch der gute alte Dorfkrug im Nachbarort. Du weißt schon – dort, wo der knorzige Wirt mit Schnäuzer hinter der Theke steht und die Weizengläser vollzapft, während die Stammtischrunde im Gastraum Skat spielt und auf ihre XXL-Schnitzel mit Bratkartoffeln wartet.
Und auf der anderen Seite? Was ist modern? Für die einen ist es schon die duzende Kellnerin. Für andere ist modern, wenn ein Serviceroboter durch den Gastraum tingelt und die Speisen an den Tisch bringt. Oder ist es dieses typisch fancy-minimalistische Flair von Großstadtrestaurants, in denen so abgefahrene Speisen serviert werden, die in Sachen Kreativität, Geschmack und Textur vom anderen Stern sind?
Oft schwingt bei solchen Gastro-Diskussionen der Tenor von Tradition vs. Moderne mit. Dabei schließt sich beides ja nicht aus. Vielleicht verwechseln viele Tradition mit altbackener Küche, die heute überwunden werden müsse – aber seien wir mal ehrlich: Klassiker wie Scholle Finkenwerder, Kalbsleber Berliner Art, Szegediner Gulasch oder das klassische Wiener Schnitzel würde doch kaum jemand stehen lassen, bloß weil sie vermeintlich zu oldschool wären.
Traditionen können den Charakter eines Ladens außerdem richtig prägen und sich auch in einer Region manifestieren. Ein kleines Beispiel aus meiner Heimatstadt ist ihr Signature Dish: Die berüchtigte „Celler Rohe Roulade“. Die gibt’s hier aber nicht überall, sondern nur in einer Handvoll Restaurants, von denen jedes seine eigene Geheimzutat ins Spiel bringt.
Und weil sie das seit Generationen tun, beansprucht jedes unter ihnen, die allerbeste Rohe Roulade der Stadt drauf zu haben. Bevor du fragst: Ja, die Rohe Roulade heißt nicht nur so, sie ist tatsächlich roh – und was sich im ersten Moment recht fragwürdig anhört, ist in Wirklichkeit sehr lecker. Wenn es dich also mal in diese Gegend verschlägt, probier sie!
Drei Generationen und noch alles im Einklang
Jetzt wollen wir aber ganz woanders hin, und zwar weit nach Norden. Genauer gesagt nach Wiesmoor in Ostfriesland, wo Küchenchef Henning Wagner im Hotel „Zur Post“ hinter dem Herd steht. Er führt das Haus nicht nur in dritter Generation, hier sind auch ständig drei Generationen vor Ort. Vor einiger Zeit sogar eigentlich noch vier, wie Henning erzählt, denn die gute Seele des Hotels und Oma zu Henning, Johanne Wagner hatte noch bis ins hohe Alter ein waches Auge über das traditionsreiche Hotel zur Post. Vier Generationen – klingt das nicht schon wie Tradition pur?
Zunächst wollten wir von Henning aber wissen, was er persönlich mit Tradition verbindet. „Vier Generationen, Liebe, Zusammenhalt und füreinander da zu sein. Sich nicht nur in guten Zeiten zu lieben und ein Team zu sein, sondern auch dann, wenn es mal etwas düster oder dunkler wird.“, bringt er es auf den Punkt. Tradition bedeutet für ihn aber auch, die Familie und das Team immer im Einklang zu haben. „Für das ganze Team und die Familie einen großen Tisch zu decken, alle sitzen beisammen, sprechen miteinander und essen Rinderroulade mit Rotkohl.“
Gastro-Tradition wie aus dem Bilderbuch. Für Henning gehört es auch zur Tradition, Neues zu versuchen. Ganz nach Omas Motto „Viele Köche verbessern den Brei“. Denn in Hamburg isst man besagte Roulade nicht nur mit Senf sondern auch mit Tomatenmark – so kennt er es aus seiner Ausbildung. Den Rotkohl dazu gibt’s ganz bodenständig mit Speck und Zwiebeln.
Wer als Gast allerdings Lust hat, sich auf ein kulinarisches Abenteuer zu begeben, bestellt sich am besten das Überraschungsmenü. Da könne sich der Rotkohl schon in einen mit Koriander und Chili verfeinerten, asiatisch inspirierten Rotkohlsalat verwandeln, wie Henning sagt. „Traditionen soll man bewahren, aber man darf auch mutig mit Traditionen umgehen und Neues erschaffen.“
Kulinarisch bringt Henning Tradition und Moderne jedenfalls locker zusammen – und alle sind glücklich: „Du kannst bei mir ‘nen Erbseneintopf essen, du kannst ein Schaschlik nach der Arbeit an der Theke kriegen, du kannst mit deinen Jungs ’n Jägerschnitzel essen, du kannst 10 Gänge von mir bekommen, da gibt’s keine Grenzen“.
Und wer weiß, vielleicht sagt in ferner Zukunft irgendein junger Mann über Hennings Knuspertasche, die auf der traditionellen japanischen Frühlingsrolle basiert: „Diese Knuspertasche auf asiatischem Rotkohlsalat, die hat mein Großvater Henning schon immer so gemacht!“
Es gibt Traditionen und „Traditionen“
Wer die Gastronomie kennt, der weiß auch, dass es auch unschöne Dinge gibt, die sich über die Jahre festgebrannt haben, wie Pudding am Topfboden. „Traditionen“, über die Henning froh ist, dass sie – zumindest im Hotel „Zur Post“ der Vergangenheit angehören. Welche das sind? Henning erinnert sich da an seine Ausbildung zurück: „Es gibt in vielen traditionellen Gastronomien eine strenge Hierarchie mit vielen Regeln und vielen cholerischen Kollegen – und vielen Kollegen, die mit dem Druck von oben nicht zurechtkommen.“
Das Küchenleben ist nicht ohne. „Viele zerbrechen an dem Druck, es fliegen Pfannen, es herrscht ein allgemein rauer Umgangston“. Derlei „Traditionen“ ersetzt er durch eine eigene. Die Hierarchie in Hennings Hotel ist nämlich nicht die Gastro-übliche Hühnerleiter, auf der ganz oben der Gockel steht, mit den Flügeln flattert, nach unten schaut und alle paar Sekunden kräht.
Er beschreibt sein Modell wie einen langen Ast, auf dem alle nebeneinander sitzen und er irgendwo dazwischen. Nicht in der Mitte, nicht ganz links oder rechts, sondern an dem Platz, der einfach frei ist. So haben alle den freien Blick auf den tollen blauen Himmel, aber auch manchmal auf die dunklen Wolken. Er vertraut seinem Team und sie vertrauen ihm.
Bei der Digitalisierung in der Gastronomie ist für Henning dagegen die perfekte Mischung wichtig: „Wieso sollte man in der Gastronomie oder Hotellerie etwas an die Technik abgeben, das seit schon so langer Zeit funktioniert?“. So besuchte er mit seiner Familie einmal ein Restaurant, wurde dort von einer jungen Dame begrüßt, die dann auch die Bestellung aufnahm. Doch die Gerichte wurden von einem vollautomatisierten Roboter „serviert“. „Absolut unpersönlich und totaler Schnickschnack!“, ist Hennings Meinung darüber.
Er legt viel mehr Wert darauf, die Technik zu nutzen, um noch besser für seine Gäste erreichbar zu sein. Zum Beispiel mit seinem Reservierungs- und Rechnungsprogramm, das ihm viel Zeit und Nerven spart. „Das ist nicht so wie bei meinen Eltern und Großeltern, die das Reservierungsbuch aufschlugen und die Rechnungen mit der Hand schreiben mussten.“ Die gesparte Zeit kann er stattdessen viel besser mit Liebe zum Detail in seine Kreationen einfließen lassen, sich noch öfter bei seinen Gästen blicken lassen oder das eine oder andere verrückte Instagram-Reel drehen. „Die Technik kann uns vieles erleichtern, sollte uns aber doch bitte nicht das Menschliche und Herzliche nehmen“, lautet Hennings Fazit hierzu.
Beim Thema Arbeitskleidung geht’s in seinem Haus ebenfalls eher traditionell zu: „Gerade als Koch sollte man sehr gepflegt aussehen. Klar sehen die Gäste Abends auch, dass ich gekocht habe – soll man auch, hier kocht der Chef noch selber. Aber auch für das Team finde ich es unheimlich wichtig, dass alle gleich und ordentlich rumlaufen. Das wird bei uns groß geschrieben und darauf sollte man achten, wenn man so ein tolles Haus führen darf.“
Es wird jedenfalls kein Zufall sein, weshalb er seine Crew im Restaurant und in der Küche mit Gastro-Workwear von Weitblick ausgestattet hat. Schließlich kommen in den Kollektionen locker das traditionelle Flair klassischer Kochkleidung mit modernen und vor allem nachhaltigen Elementen zusammen.
Klassisch von der Pike auf
Vom hohen Norden geht’s nun in den Süden, nämlich nach Unterfranken. Hier in Amorbach, einem hübschen Kleinstädchen im Odenwald ist Jochen Schenk der Küchenchef im „Schenks Landgasthof“, den er mit seiner Frau Stefanie im Jahre 2014 eröffnete. Wenn der 41-Jährige nicht gerade in der Küche steht, geht er gerne joggen oder mountainbiken im Neudorfer Wald oder unternimmt mit seiner Familie Ausflüge hier in der malerischen Region.
Beim Begriff „Tradition“ schießen Jochen so einige Begriffe durch den Kopf, die in seiner klassischen Kochausbildung eine Rolle gespielt haben: Eine Grundsauce mit Knochen ansetzen, Schweinebraten, Sauerbraten, Wildschweingulasch, Faust-Bier aus dem gleichnamigen Brauhaus in Miltenberg. Aber es bleibt nicht bloß bei Stichworten: „Durch Traditionen gewinnt der Mensch Sicherheit und Stabilität, diese brauchen wir genau jetzt in der heutigen Zeit.“
Seine Lehre ist ihm in positiver Erinnerung geblieben – vielleicht auch gerade deshalb, weil es in seinem Lehrbetrieb sehr traditionell zuging. „Das war im Romantikhotel „Zur Krone“ in Laudenbach am Main. Früher waren wir ein Team von fünf bis sechs Leuten. Heute stehe ich meist zu zweit in der Küche, was nicht unbedingt schlechter sein muss. Damals habe ich die klassische, traditionelle Küche von A bis Z kennenlernen dürfen. Was sich im Vergleich zu damals gewandelt hat: Früher wurde viel in Töpfen gekocht und heute doch eher im Kombidämpfer mit Touchscreen und Datenbank.“
Bei einem für Köche leidigen Thema freut er sich jedoch, dass es für ihn heute der Vergangenheit angehört:“Zwiebel schälen! Damit es sich lohnte, wurde früher gleich ein 25-Kilo-Sack geschält. Heute bestelle ich diesen schon fertig geschält beim Gemüsehändler!“ Dass Jochen die klassische Art zu kochen von der Pike auf gelernt hat, kommt ganz den Vorlieben der Gäste entgegen, die eine traditionelle, ehrliche und bodenständige Küche ohne Schnickschnack schätzen. Was aber nicht heißt, dass hier nicht auch vegane Gerichte über den Pass gehen, welche heute immer mehr im Trend sind.
Wenn es um den Kontakt mit Gästen geht, läuft in „Schenks Landgasthof“ einiges noch immer so wie früher, erzählt Jochen. Bestellungen werden mit Block und Stift aufgenommen – nicht mit dem Smartphone. Ansonsten ist man in puncto Gästekommunikation neben dem guten alten Telefon hier aber auf dem aktuellen Digitalisierungsstand: Website mit Buchungssystem, ein Whatsapp-Kanal sowie ein Facebook- und Instagram-Account.
Sein Ratschlag, um in der Gastronomie sowohl Tradition zu bewahren als auch modern zu arbeiten: „Man sollte als Unternehmer immer einen Spagat wagen, um einen guten Mittelweg zu finden. Dabei ist es ganz wichtig, immer offen für Neues sein. Man muss sich aber auch trauen, sich von alten, überholten Traditionen zu trennen – vor allem, wenn sie nicht wirtschaftlich sind.“ Klingt wirklich nach einem guten Mittelweg.
Fazit: Es geht halt nicht ohne
Nachdem man sich diese beiden Häuser angeschaut und mit den Leuten gesprochen hat, die dort arbeiten, wird einem klar: Die Grundlage, auf der sie ihre Hotels und Restaurants führen, ist traditionell. Traditionen fortzuführen hat sie dorthin gebracht, wo sie jetzt sind. Viele Traditionen haben sich über all die Jahre bewährt und sind immer noch Teil ihrer Identität. Auf ihnen basieren die wahren Werte ihrer Häuser.
Gleichzeitig hört man auch heraus, dass es ohne Moderne auch keine Weiterentwicklung gibt. Das Wichtigste ist, dass man bei aller Erneuerung seine Werte nicht auch mit über Bord wirft und sich erst dann von Traditionen trennt, wenn das Neue wirklich für alle einen Mehrwert schafft. Dann sind Tradition und Moderne im Gleichgewicht. Dann können sich sowohl das Team als auch die Gäste damit identifizieren.
Auch bei Weitblick haben sich in neun Jahrzehnten Unternehmensgeschichte Werte manifestiert, aus denen der Leitgedanke von Mut, Kraft und Zuversicht erwachsen ist. Jede der vier Generationen brachte ihre ganz eigenen Einflüsse ein, ohne die alten Werte über Bord zu werfen. Natürlich wird Workwear heute nicht mehr so hergestellt, wie 1931 – allerdings noch immer mit derselben Begeisterung, immer etwas Besonderes zu schaffen.
Aktuell sind es vor allem Fairness und Nachhaltigkeit, die im Fokus stehen – wobei auch hierfür bereits vor Jahrzehnten Konzepte, Workwear-Linien und sogar ein eigenes Label existierten. Damals war der Markt noch nicht bereit dafür. Mit der Moderne einen Wandel einläuten zu wollen, kann natürlich auch zu Rückschlägen wie diesen führen. Und wie lässt man sich dennoch nicht entmutigen? Richtig – indem man sich auf seine Werte besinnt und daraus Mut, Kraft und Zuversicht schöpft.